Fußball und Identität in Deutschland und Frankreich

Fußball und Identität in Deutschland und Frankreich

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut Paris; Université Jean Monnet in Saint-Étienne
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
27.04.2006 - 28.04.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Holger Kozminski; Annika Kropf; Andreas Roessner

Wenn etwas das 20. Jahrhundert tiefgreifend prägte, dann war es die „wunderbare Welt des Fußballs“. Während Enzyklopädien allenfalls von einem Sport mit 22 Spielern reden, bedeutet es für Millionen von Menschen noch etwas völlig anderes: Fußball, das ist Leidenschaft, für viele ein Gemeinschaftsgefühl der besonderen Art. Fußball, so Dietrich SCHULZE-MARMELING, zählt zu den großen kulturellen Institutionen, die rund um den Globus nationale Identitäten formen und festigen. Gerade im Hinblick auf die Fußballweltmeisterschaft zeigt sich, dass Fußball etwas Sinnstiftendes in sich trägt, das Menschen aus aller Welt miteinander verbindet.

In Deutschland und Frankreich hat sich der Fußball über Jahrzehnte hinweg auf unterschiedliche Art und Weise zu einem regelrechten Massenphänomen entwickelt. Seine Erfolgsgeschichte bleibt jedoch bis heute erklärungsbedürftig. Bei einem Kolloquium, das vom DHI Paris und der Université Jean Monnet in Saint-Étienne ausgerichtet (27./ 28. April 2006 und vom Deutschen Akademischen Austauschdienstes, der Deutsch-Französischen Hochschule, dem Deutsch-Französischen Jugendwerk sowie der Deutschen Akademie für Fußballkultur unterstützt wurde, nutzten deutsche und französische Forscher die Gelegenheit, hinter die Kulissen des Fußballs zu schauen. Schnell wurde deutlich, dass Fußball nicht alleine mit Passion, Leidenschaft und Hingabe verbunden ist, sondern ohne seine sozialen, ökonomischen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen nicht zu denken ist. In sechs verschiedenen Sektionen gingen Historiker, Soziologen und Politologen daher der Frage nach, welche Faszination und Antriebskraft Fußball in sich birgt, und weshalb sich gerade dieser Sport im Laufe der Zeit zum Träger nationaler Identität entwickelt hat.

Nach „der Eröffnung des Spiels“ durch Werner PARAVICINI (DHI Paris) und einleitenden Worten von Ulrich PFEIL zur Veranstaltung begann Uli GLASER (Nürnberg) zunächst mit einem kurzen Vortrag über die Arbeit der Deutschen Akademie für Fußballkultur. Da die Fußballweltmeisterschaft näher rückt, und das Interesse für Fußballthemen sich verdichtet, stellte er in wenigen Stichworten das Verhältnis der heutigen Wissenschaft zum Massenphänomen Fußball vor. Glaser verwies gleichzeitig auf kommende Aktivitäten der Akademie zu bislang wenig erforschten Themen u. a. Fußball und Nationalsozialismus, Geschlecht und Fußball sowie Fußball als Mittel der Integration.

Im Anschluss an die Einführung zum Forschungsstand begann die erste Sektion unter Leitung von Robert FRANK (Paris I) unter dem Themenabschnitt „Fußball und Nation“. Nach Kriegsende kam dem Fußball speziell auf deutscher Seite eine bedeutende Rolle zu, denn mit dem Ende des klassischen Nationalstaates, so Wolfram PYTA (Stuttgart), begann die Suche nach neuen Symbolen nationaler Identität. Im Jahre 1954 sei die deutsche Gesellschaft beim Fußball fündig geworden: Der Fußballerfolg, heute bekannt als „Das Wunder von Bern“, wurde zunächst noch als Triumph der Kameradschaft, d.h. mit Rückgriff auf alte soldatische Gemeinschaftssymbole, gewertet. Mit dem grundlegenden Wertewandel Deutschlands in den nächsten Jahrzehnten änderten sich auch die Symbole. Althergebrachte Begriffe wie Kampfkraft und Durchsetzungsvermögen änderten ihre Wirkung durch neue Formulierungen wie Spielkunst und technisches Können. Eine neue nationale Identitätssuche begann, nationalistische Züge verschwanden. Als sich im Zuge der europäischen Einigung „Pfeiler nationaler Identität“ wie die deutsche Währung auflösten, so schloss Pyta seinen Vortrag, kam dem Fußball seine neue Rolle als Träger nationaler Identität zu.

Der Durchbruch des Fußballs zu einem Massenphänomen und damit zu einem identitätsstiftenden Faktor vollzog sich in Frankreich später als in Deutschland. Lange Zeit kämpfte er um Anerkennung, hatte Mühe, sich gegen das populäre Rugby durchzusetzen. Ebenso wenig fanden sich in Frankreich traditionelle Clubs sowie prestigeträchtige Vereine wie vergleichsweise in Belgien oder den Niederlanden. Daher ist es schwierig, so Paul DIETSCHY (Paris), zunächst von einer Einheit zwischen Fußball und französischer Nation zu sprechen. In seinem Vortrag erläuterte er die komplizierten Anfänge sowie die Besonderheit der Entwicklung des französischen Fußballs. Besonders hervorzuheben sei dabei der frühe kosmopolitische Charakter des Fußballs, der es ermöglichte, aus den Kolonien stammende Spieler zu integrieren.

„Fußball und Region“ stand als Thema für die zweite Sektion unter der Leitung von Gilbert KREBS (Paris III). Dietmar HÜSER (Kassel) zeichnet den Weg des Saarlandfußballs nach und verwies gleichzeitig auf die schwierige Kombination zwischen Sport, Politik und Region. Das Saarland sollte zunächst als Besatzungsgebiet der französischen Wirtschaft zum Wiederaufbau verhelfen und gleichzeitig einen Sonderstatus, d.h. eine politische Autonomie samt eigenständiger Verfassung außerhalb Deutschlands erhalten. Sport, speziell der Fußball, besaß im Saarland eine doppelte Funktion: Zum einen sollten sportliche Aktivitäten zur Demokratisierung der saarländischen Gesellschaft beitragen, zum anderen galt es, den Saar-Sport für die Autonomiepolitik zu nutzen und ihn aus alten preußisch-deutschen und nationalsozialistischen Strukturen herauszuheben. Der Sport wurde somit zum „Vehikel“ der Politik. Vor allem der Spitzenfußball der Region entwickelte sich zum „Spielfeld“ saarländischer Autonomiebestrebungen, doch misslang es schließlich, den Fußball für die französische Deutschlandpolitik zu instrumentalisieren. Die Träume einer fußballerischen Eigenständigkeit des Saarlandes u. a. durch Einführung des Saarland-Pokals scheiterten ebenfalls. Der Fußball kehrte bald in den deutschen Raum zurück. Die letztlich inneren Widersprüche der Saarlandpolitik zeigten sich daher am besten am Beispiel des Fußballs.

Einen anderen regionalen Schwerpunkt setzte Pierre PIROT (Metz) in seinem Vortrag. Am Beispiel des elsass-lothringischen Fußballs gab er einen Überblick über die soziokulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen des Fußballs. Dazu gehörten die ersten regionalen Erscheinungsformen des Fußballs bis hin zu Verwurzelung am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Durch die Germanisierung des Elsass und Teilen von Lothringen vor 1919 vermochte es der Sport, leichter deutsche Immigranten in die Teams zu integrieren. Die Beziehungen zwischen den einheimischen Clubs wurden gefördert und in den 1920er Jahren erste Meisterschaften und Pokalspiele organisiert, so dass bereits in dieser Phase eine erste Professionalisierung des Fußballs erfolgte und in den 1930er Jahren die ersten Profivereine entstanden. Pirot hob dabei auch das Aufkommen einer speziellen Fußballpresse sowie diverser Wirtschaftszweige hervor, die sich auf Fußball spezialisiert hatten. Letztlich entwickelte er sich zu einem Massenphänomen, das sich bereits vor mehreren Jahrzehnten der Unterstützung von Wirtschaft, Kultur, vor allem der Gesellschaft sicher sein konnte.

Die anschließende Filmvorführung des berühmten Weltmeisterspiels zwischen Deutschland und Frankreich vom 8. Juli 1982, kommentiert durch Aurélie LUNEAU (France culture), löst bis heute zwischen beiden Ländern lebhafte Diskussionen aus. Trauriger Höhepunkt dieses Spiels war der Zusammenprall zwischen dem deutschen Torwart Harald Schumacher und dem französischen Verteidigers Patrick Battiston. Den bewusstlos am Boden liegenden Spieler ignorierte Schumacher völlig. Am Schluss verlor Frankreich im Elfmeterschießen ein fast schon gewonnenes Spiel. Die französische Mannschaft und gleichzeitig die Fans fühlten sich gedemütigt. Für den französischen Fußball bedeutete diese Niederlage ein regelrechtes Trauma, das erst durch den Sieg bei der Weltmeisterschaft 1998 aufgehoben werden konnte. Antideutsche Ressentiments erlebten 1982 eine kurzzeitige Wiederauferstehung, doch es war nicht zuletzt dem besonnenen Handeln von François Mitterrand und Helmut Schmidt zu sowie der gesellschaftlichen Verankerung der deutsch-französischen Verständigung zu verdanken, dass diese auch gleich wieder abebbten. Trotz allem bleibt dieses Spiel gerade auf französischer Seite mit vielfältigen Emotionen verbunden.

Von der „Kampfbahn Glückauf“ und vom „Chaudron“ (Kessel), von angeblich roher Spielweise und übelsten Drängeleien im Stadion, die Pascal CHARROIN live vorführte, handelte die Sektion „Fußball und Milieu“ unter der Leitung von Simon KUPER (Financial Times). Vorgestellt wurden die Vereine Schalke 04 und der AS Saint-Étienne, die beide mit dem Arbeitermilieu in Verbindung gebracht werden – ob dies nun der Realität entspricht oder nicht. Im Falle von Schalke 04, mit dem sich Stefan GOCH (Bochum) beschäftigte, scheint es sich um eine Selbststilisierung zu handeln, mit der man behaupten konnte, von bürgerlichen Vereinen im Umkreis benachteiligt zu werden. Die Gründer gehörten jedoch nicht mehr zu der mobilen, eingewanderten Arbeiterschaft in Gelsenkirchen, sondern waren schon in zweiter Generation dort. Sie waren bereits sesshaft geworden und stellten eine, so Goch, „kleinbürgerliche Arbeiterschaft“ dar. Einen Vorteil hatte der Mythos des Arbeiterfußballvereins auch in der NS-Zeit, als die „Knappen“ von Schalke 04 mit sechs Meisterschaftssiegen ihre erfolgreichste Phase durchliefen und sich als Teil der „Volksgemeinschaft“ stilisieren konnten. Es kann wohl auf den lokalen Hintergrund des Ruhrgebiets und die Anhängerschaft, die weitgehend aus Arbeiterkreisen kommt, zurückgeführt werden, dass dieser Mythos auch heute, bei sichtlicher Professionalisierung und Kommerzialisierung, noch weitergepflegt wird.

Im Falle des ASSE stellte Pascal CHARROIN (Saint-Étienne) dagegen fest, dass der Mythos des Arbeitervereins seit Mitte der 1980er Jahre verschwindet. Zuvor jedoch hatte der Verein eine deutliche „Arbeiteridentität“, die Charroin dreifach aufspaltet. Die Identität als „Arbeiter“ zeige sich sowohl in der Eigendarstellung als auch in der Außenperspektive zum Beispiel darin, dass Fans anderer Mannschaften den ASSE mit dem entsprechenden Vokabular stigmatisieren. Als dritte Dimension zeigte auch die Statistik der Anhängerschaft eine Überrepräsentation der Berufsgruppe „Arbeiter“. Der Mythos des Arbeitermilieus ist auch heute noch bekannt, er wird aber vom ASSE nicht mehr propagiert.

Zum Thema „Fußball und Ethnizität“ lieferte bereits Eva Sabine KUNTZ, Generalsekretärin des DFJW, in ihrer Einführung ein Beispiel, nämlich den hohen Stellenwert des Fußballs für das Deutschlandbild in Italien. Kann aber ethnische Identität auch bewusst durch Fußball gelenkt werden? So fragte sich Nicolas BANCEL (Strasbourg), ob der Fußball ein Mittel gegen die Abschottung und den sozialen Abstieg von Einwandererkindern in den „schwierigen Stadtvierteln“ Frankreichs sein kann. Ein Allheilmittel für die Krise des republikanischen Integrationsmodells sieht Bancel darin jedenfalls nicht. Dennoch nimmt Fußball seit Mitte der 1980er Jahre in den Integrationsprogrammen eine herausragende Stellung ein. Als bemerkenswert kann festgestellt werden, dass der integrative Effekt des Fußballs vorher nicht untersucht wurde. Vielmehr beruht die Wahl des Fußballs darauf, dass er als „sozialisierender“ Mannschaftssport gilt und ohnehin informell auf der Straße gespielt wird. Die Ergebnisse dieser Integrationsprogramme sind demnach gemischt. Es lässt sich sogar feststellen, dass Jugendliche ihre nicht-französische Herkunft oft noch stärker betonten oder am nun institutionalisierten Fußball das Interesse verlieren. Zudem scheinen diese Programme auf eine Homogenisierung abzuzielen, die an die koloniale Assimilation erinnert. Vor diesem Hintergrund muß das republikanische Integrationsmodell vielleicht nicht nur aus der Krise gerettet, sondern neu überdacht werden.

Namen wie Podolski, Borowski oder Klimowicz fallen heute in deutschen Fußballvereinen kaum noch auf. Aber es war nicht immer selbstverständlich, so betonte Diethelm BLECKING (Freiburg), dass ethnische Minderheiten in deutschen Vereinen spielten. Vielmehr gab es vor dem „Dritten Reich“ dänische, elsässische, jüdische oder polnische Sportklubs, deren Existenz den integrativen Effekt des Fußballs in Frage stellten. Eine Ausnahme bildeten einige jüdische Fußballspieler, die eine wichtige Rolle bei der Gründung bekannter deutscher Fußballvereine spielten, aber im „Dritten Reich“ ausgeschlossen wurden. Anfänge bei der Integration machten auch die Polen, die schon nach dem Ersten Weltkrieg begannen, in deutschen Mannschaften zu spielen. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten Niederländer und Jugoslawen. Die Existenz ethnischer Vereine ist heute jedoch nicht beendet, wovon die zahlreichen türkischen Fußballclubs zeugen. Findet man in der Nationalmannschaft Spieler afrikanischer Herkunft, bevorzugen deutsch-türkische Spieler die Nationalmannschaft der Türkei, ein Indiz dafür, dass auch in der Türkei Fußball Nationalsport ist.

„Die Zukunft des Fußballs ist weiblich“, prognostizierte Mareike KÖNIG (Paris) zu Beginn ihres Vortrages „Fußball: ein „Männersport“ für Frauen?“ innerhalb der Sektion „Fußball und Geschlecht“, die von Corine DEFRANCE (CNRS-Paris) geleitet wurde. In der abwechslungsreichen Vergangenheit des deutschen Frauenfußballs standen medizinische Bedenken oft im Mittelpunkt von Argumentationen, die Frauen nicht nur vom Fußball, sondern auch von anderen Sportarten abhalten sollten. Hinzu kam die Konstruktion eines Fußballbildes als „Männersport“, dessen Willkürlichkeit durch einen Blick über den Atlantik sofort entlarvt wird. In den USA gilt Fußball als Frauensache. Der erste Frauenfußballklub, den Lotte Specht 1930 gegründet hatte, hielt der öffentlichen Ablehnung nicht lange stand. Auch die völlige Inkompatibilität des nationalsozialistischen Weiblichkeitsbildes mit kickenden Frauen kann kaum verwundern. Erstaunlich ist jedoch, dass der DFB Frauenfußball noch im Jahre 1955 verbot. Dies hielt die Frauen nicht vom Fußballspielen ab, und so wurde Ende der 1960er Jahre eine Art „abgeschwächter Frauenfußball erlaubt. Seitdem erlebt der Frauenfußball einen Boom, der mit internationalen Erfolgen gekrönt wurde und zumindest eine dem Männerfußball ebenbürtige Zukunft verspricht. Auch Frauen, die als Zuschauer den Sexismus, die Homophobie und den Rassismus im Stadion in Kauf nehmen oder sogar mittragen, werden immer mehr. Dabei betonte König, dass das Stadion nicht, wie häufig zitiert, ein „Abbild der Gesellschaft“ sei, sondern die genannten Phänomene überproportional zur Gesellschaft widerspiegelte. Den Einwand, die Situation im Stadion hätte sich in jüngster Zeit verbessert, wies König entschieden zurück.

Eine enge Verbindung sieht Xavier BREUIL (Metz) zwischen Fußball und politischer Partizipation, wodurch er die geringe Verbreitung von Frauenfußball in Frankreich erklärte. Bisher, so fügte König hinzu, wurde versucht, die unterschiedlich große Beliebtheit des Frauenfußballs mit anderen Variablen wie zum Beispiel der Konfession oder der Berufstätigkeit der Frauen zu erklären. Beide Ansätze konnten zwar einzelne Phänomene, aber keine Entwicklungen und Brüche in der Geschichte des Frauenfußballs erklären. Im Frankreich der 1920er Jahre gab es, so Breuil, systematische Initiativen zur Etablierung des Frauenfußballs, die auch öffentlich Unterstützung fanden. Als der Fußball Anfang der 1930er Jahre jedoch eine „ernste Angelegenheit“ – ähnlich ernst wie die Politik – wurde, wurde er zur Männerdomäne und ist dies bis heute geblieben. Breuil untersuchte seine These anhand des Frauenanteils in den jeweiligen nationalen Parlamenten. Schweden und Norwegen, sowohl qualitativ als auch quantitativ Vorreiter im Frauenfußball, weisen beispielsweise ein hohes Engagement der Frauen in der Politik auf. In Frankreich scheint es somit kein Zufall zu sein, dass ein geringes weibliches Engagement in der Politik auch mit der geringen Beliebtheit des Frauenfußballs einhergeht. Angesichts der Sportarten, in denen Frauen überrepräsentiert sind, bleibt zu erklären, warum Parallelen gerade zwischen Fußball und politischer Partizipation gezogen werden können.

In der Absicht den lokalen, nationalen oder binationalen Charakter der vorherigen Beiträge zu sprengen, ging Albrecht SONNTAG (Angers) auf die widersprüchlichen Mechanismen des Globalisierungsprozesses ein. Im kulturellen Bereich stellt der Fußball das Sinnbild einer zweischneidigen Komponente dar: er geht einerseits einher mit einer oftmals kritisierten Okzidentalisierung und Homogenisierung während er andererseits zum Inbegriff des Wunsches nach kollektiver Anerkennung kultureller – oftmals minoritärer – Gemeinschaften und deren charakteristischen Merkmale werde. Die nationenübergreifende Logik, die sich z.B. in den nichtstaatlichen Organisationen wie FIFA oder UEFA widerspiegelt, steht zweifelsohne lokalen Denkweisen gegenüber, die trotz des verbindenden Charakters, der dem Sport nachgesagt wird, vor allem lokale Eigenheiten hervorheben und zelebrieren. Somit steht nun das Individuum vor der Zerreißprobe zwischen dem Willen, das globale Dorf weiter aufzubauen und dem Wunsch seinen Wurzeln treu zu bleiben. Klubfußball oder Nationalmannschaft, grenzüberschreitende Mobilität oder Bewahrung der nationalen Authentizität: das ist hier die Frage. Die Gefühle sind gemischt zwischen Pluralismus und Erhalt der sozialen Bindungen auf lokaler Ebene, zwischen Individualismus und althergebrachtem Kollektivismus.

Im Bereich der Werbung waren die Ansätze für den Einstieg in die Konsumgesellschaft beiderseits des Rheins laut Pierre LANFRANCHI (Leicester) sehr unterschiedlich. Der noch „anonyme“ Fußballer der Zwischenkriegszeit sollte nur langsam zum Star und lukrativen Werbeträger werden. Erst nach 1968 schmückten Markennamen die Trikots der französischen Spieler. Während in Deutschland lokale Brauereien als Sponsoren schon Sport und Industrie verbanden bevor 1973 Jägermeister auf nationaler Ebene zum Sinnbild für die erfolgreiche Fusion von Fußball und Geschäft wurde, blieb Werbung für Alkohol in Frankreich verboten. Dort florierte in den 1960er Jahren die Sportartikelindustrie auf nationaler Ebene, um dem wachsenden Bedarf an finanziellen Mitteln der Clubs beizukommen. Wenig später nur machten deutsche Vereine im Gegensatz zu dem linksrheinischen Nachbarn bereits Werbung für ausländische Marken und erweiterten die Produktpalette auf den Bereich der Unterhaltungstechnologien sowie der Hygieneartikel, was in Frankreich erst Mitte der 1980er Jahre zum Trend wurde. Der Fußball, so LANFRANCHI, habe sich jedoch mittlerweile einheitlich international an die Marktkonzepte angepasst, die „Manchester United“ als Idealmodell vorführt: demnach stellen Einnahmen durch Eintrittskarten, Fernsehwerbung und Vermarktung von Fanartikeln jeweils ein Drittel des Budgets der Vereine dar.

Der Fußball, der heute als globales Phänomen mittels der Medien weltweit verbreitet wurde, behalte aber laut Dieter H. JÜTTING (Münster) im Kern seine lokale Komponente. Demnach werden Mannschaften nach wie vor mit ihrem Herkunftsort assoziiert. Dank seiner territorialen und kulturellen Anpassungsfähigkeit konnte das von den Engländern erfundene und institutionalisierte Hobby seinen Siegeszug in sämtliche Länder und Gesellschaftsschichten vollziehen. Der deutschen Turner- und Arbeiterschaft und selbst der Kirche zum Trotz wurden die Vereine im Laufe der Zeit zu den „big players“ im kommunalen Raum. An den Beispielen Frankreich, Deutschland und Großbritannien sieht man, wie der Fußball aus dem milieubezogenen Kontext herausgelöst wurde, um ein Faktor der kommunalen Politik zu werden. Je größer die Stadt, desto größer der Club. Während man in der Demokratie versucht, die hierarchische Ordnung des Systems möglichst diskret zu halten, wird die von oben nach unten strukturierte Ordnung der Ligen im Kampf um das runde Leder allerdings offenkundig gezeigt: die Möglichkeit eines sozialen Auf- und Abstieges sowie die Temporalisierung der Vorreiterposition durch die zeitliche Begrenzung der Saison machen egalitäres Volksvergnügen mit elitärer Systemhierarchie kompatibel.

Im Folgenden wurde einer deutsch-französischen Studentengruppe aus aus Paderborn, Hannover und Besançon die Gelegenheit gegeben, ihre in den Vortagen mit Unterstützung des DFJW erarbeiteten Ergebnisse vorzutragen. Sie diskutierten die Möglichkeiten engerer Kooperation und interkulturellen Austausches. Nicht nur bei den Kontakten auf Studentenebene, sondern auch beim wissenschaftlichen Umgang mit Fußball bliebt noch viel zu tun, selbst wenn der Sport und insbesondere der Fußball langsam seinen ihm gebührenden Platz in der Forschung finden, so Alfred WAHL (Metz), der sich in seiner Zusammenfassung der Tatsache erfreute, überwiegend junge Forscher zu sehen, die sich diesem Thema widmen. Er ließ die „anregenden deutsch-französischen Vergleiche“ sowohl historischer wie soziologischer Art in chronologischer Reihenfolge Revue passieren. Sektionsübergreifend betonte WAHL, dass sich der Geschichtsforscher immer hinterfragen müsse, und nicht vergessen dürfe, dass er Mythen zu reproduzieren drohe, indem er sie erforscht und damit in gewisser Weise für die Verbreitung dieser verantwortlich ist. Gerade aus diesem Grund sei es unerlässlich, seine Arbeiten auf Basis von Archiven und verlässlichen, nachprüfbaren Quellen zu fundieren. Die bisherigen Ergebnisse seien teilweise noch ausbaufähig, obwohl man sich einig sei, dass es wohl fast unmöglich erscheine, konkrete und konsensfähige wissenschaftliche Antworten auf die aufgeworfenen Fragestellungen zu finden. Um an den aufgeworfenen Fragen auch in Zukunft weiter zu arbeiten, sollen die Ergebnisse dieser Tagung in Form eines Sammelbandes veröffentlicht werden.

Das Programm kann abgefragt werden unter:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=5235
http://www.dhi-paris.fr/seiten_deutsch/veranstaltungen/programme/football2.pdf